Schule anders gestalten: Die Schulstation

von Alexander Lang

Das deutsche Schulsystem erscheint aus ES-Sicht arg leistungslastig, fixiert auf Konformität, Funktionierenmüssen und scheinbar „Erfolgszuwachs” von der ersten Klasse bis zum erhofften Fernziel Abitur. Trotz des nach wie vor segregativen mehrgliedrigen Aufbaus erkenne ich keine ausreichenden Bemühungen, der Vielfalt des kindlichen und jugendlichen Soseins im Kontext Schule gerecht zu werden. Aus meiner ES-Minoritätsperspektive wünschte ich mir einige tiefergehende Veränderungen des Umsetzens von Schule und würde sie gerne anders gestalten. Mit dem Konzept Schulstation kann ein erster Schritt getan werden.

Schulstationen sind ein leider gar nicht so weit verbreitetes präventives Konzept, welches meiner Meinung nach besonders gut für „die ES-Schule” (also allen Orten des Lernen, an denen SuS mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf in ES beschult werden) geeignet ist. Mit diesem kurzen Artikel möchte ich das Konzept Schulstation vorstellen und begründen, warum es für den Einsatz im ES-Bereich so gut geeignet erscheint.

Warum sollte ES daran mitwirken, Schule anders zu gestalten?

Prof. Dr. Opp, der der Förderschule Emotionale und soziale Entwicklung als Teil der schulischen Selektionspraxis bestimmte Merkmale pädagogischer Professionalität ins Buch schreibt, die eine Basis zur Legitimation Ihrer Existenz innerhalb dieser Selektionspraxis bilden (vgl. 2008, S. 73ff.), resümiert wie folgt: „dass sie (gemeint ist „die ES-Schule“) eine andere Schule ist, dass sie sich in ihren professionellen Kompetenzen, ihren alltäglichen Routinen, ihrer pädagogischen Reflexion und in ihren pädagogischen Alternativen und Ressourcen in vielfältiger Weise von der Allgemeinen Schule unterscheidet“ (ebd., S.74). Opp postuliert sogar ein Primat der Erziehung (ebd., S. 83).

Das Konzept Schulstation soll den Schulalltag konzeptuell erweitern, damit die besondere Schülerschaft mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf in ES nicht nur hauptsächlich fokussiert auf den klassischen Schulstoff und  -ablauf erlebt, sondern „Schule mal anders“, nämlich subjektorientiert, an den individuellen Bedürfnissen orientiert und Vielfalt als Normalität akzeptierend kennen lernen kann.

Mit dem Konzept der Schulstation arbeitet „Schule“ nicht mehr nur für „gute Noten”, sondern mindestens gleichberechtigt für

  • individuelle positive Entwicklungen.
  • starke Schülerinnen und Schüler.
  • die Rückkehr und das stete Bleiben von Freude am Leben und Lernen, möglicherweise trotz großer Probleme und herausfordernder Lern- und Lebensbedingungen.
  • Kooperationen/ Initiationen mit/von Maßnahmen der Jugendhilfe.
  • die dauerhafte Sicherung der Schulpflicht und den Erwerb einer Grundlage emotionaler und sozialer Kompetenzen und somit auch gesicherter Partizipation und Anschussfähigkei an die "klassischen" schulischen Inhalte.
  • Verständnis von Vielfalt und Buntheit als Normalität. Auch Anderssein, bzw. Andersscheinen ist Teil der Normalität!

Eine Schulstation – was ist das eigentlich?

Schulstationen wurden laut Christiane Nevermann (vgl. Nevermann 2004, S. 125) im Zuge eines Modellprojektes zur Förderung von Schülerinnen und Schülern mit auffälligem Verhalten entwickelt. Nevermann selbst begleitete die Realisierung von Schulstationen als Kooperation von Kinder- und Jugendhilfe und Förderschulen mit dem sonderpädagogischen Schwerpunkt Emotionale und soziale Entwicklung, um Verhaltensschwierigkeiten von SuS präventiv entgegenwirken zu können.

Zudem verstehen sich Schulstationen auch als innerschulisches aktives Entgegenwirken auf wenig entwicklungsförderliche Bedingungen, unter welchen insbesondere die Schülerschaft mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf in ES inner- und außerschulisch aufwächst (vgl. ebd., S. 125).

Was bedeutet dies konkret?

Ein wenig schwingt die Bedeutung „Station machen“, ein „Zur-Ruhe-Kommen“ in der Begrifflichkeit mit. Die Schulstation als Konzept versteht sich als ein Organisations- und Handlungsansatz, der auf Prävention ausgerichtet ist: Insbesondere sollen innerschulische ergänzende pädagogische Maßnahmen zur emotionalen und sozialen Stützung von SuS als Erweiterung schulischer Angebote realisiert werden.

Die Schulstation soll ein pädagogischer Ort der Nähe, ein besonders ansprechender Raum, ein Raum der Zuwendung und des gemeinsamen Tuns sein (vgl. ebd. S. 126). Schulstationen können also qua Existenz als ein Antagonist des traditionellen schulischen Denkens der Bildungslastigkeit (Sachorientierung vor Beziehungsorientierung), des Funktionieren-Müssens des schul- und gesellschaftsimmanenten Leistungsdenkens, wo „mehr“ mit „besser“ gleichgesetzt wird, angesehen werden.

Eine Schulstation kann im System Schule (Förderschule oder Schule des Gemeinsamen Lernens) auf mehreren Ebenen Wirkung entfalten:


Quelle: Abbildung 1: Wirkungsebenen Schulstation", eigene Darstellung Alexander Lang

Die "Eintrittskarten" in die Schulstation im Schulalltag sollten möglichst niedrigschwellig und vielfältig gehalten werden: Je nach Ressource sollten SuS optimalerweise im Verlaufe immer dann in die Schulstation können, wenn sie das Bedürfnis nach emotionaler Entlastung und Stressreduzierung haben und somit ein selbstregulierender Rückzug ermöglicht werden kann. Aber auch, wenn Lehrkräfte bemerken, dass SuS „die Luft ausgeht“ oder SuS im Klassenraum nicht zur Ruhe kommen, kann die Tür der Schulstation offen stehen.

Zudem können an diesem Ort Streitschlichtung und Konfliktbearbeitung ein pädagogisches und räumliches Zuhause bekommen und die jeweiligen MitarbeiterInnen der Schulstation können zu Konfliktsituationen in Klassenräumen als Unterstützung und neutrale Personen hinzu gerufen werden. Vielerlei Umsetzungen sind denkbar. Eines soll eine Schulstation keinesfalls sein: Ein Ort der Strafe (wie es fälschlicherweise teilweise mit den artverwandten „Trainingsräumen“ passiert: „Wenn du jetzt nicht…, dann muss du in den Trainingsraum“) (vgl. Nevermann. S. 126-130).

Warum können Schulen Schulstationen so gut gebrauchen?

„Kinder und Jugendliche brauchen Menschen, die ihnen nahe sind, sich Zeit für sie nehmen, auf ihre Bedürfnisse und Sorgen eingehen und sich vor allem als verlässlich erweisen und Sicherheit geben“(…) Für SuS liegt der positive Wert einer Schulstation vor allem darin, „als Person angenommen und akzeptiert zu werden sowie im Umgang mit schulischen Anforderungen mehr Sicherheit und weiger Hilflosigkeit zu erfahren“ (ebd., S. 131).

Im Kern bedeutet eine Schulstation also auch, jungen Menschen in schwierigsten, herausforderndsten Lern- und Lebenslagen, aus teilweise überfordernden psycho-sozialen und teilweise auch prekären ökonomischen Kontexten zu ermöglichen, sich seltener als „gestört“, „behindert“, „zu doof“, „wertlos“, ausgegrenzt, „anders“ oder „defekt“ zu erleben, sondern ganz im Gegenteil die eigenen Resilienzen und Ressourcen erkennen, nutzen und erweitern zu können. Und wenigstens phasenweise keiner normativen Erwartungshaltung gerecht werden zu müssen (auch die Rolle des/der "Auffälligen" muss ja im Kontext Unterricht mit Leben gefüllt werden).

Zur besseren Veranschaulichung habe ich hier beispielhaft (anhand 5 fiktiver Beispiele) skizziert, wie ein Besuchsgrund und ein Besuch in einer Schulstation ganz konkret aussehen könnten:





Quelle: Abbildung 2-6: "Beispiele Besuchsgrund und -ablauf", eigene Darstellung Alexander Lang

 

Die Wirkmechanismen einer Schulstation auf drei verschiedenen Ebenen


Quelle: Abbildung 7: "Beispiele Besuchsgrund und -ablauf", eigene Darstellung Alexander Lang

 

Wenn eine Schulstation installiert ist, kann sie zudem zusätzliche Funktionen übernehmen:

Eine Schulstation dient zum Beispiel auch als Unterstützung der Lehrkräfte in akuten Krisensituationen von SuS in den Klassen durch...

  1. Sofortiges zur Hilfe Eilen (= persönliche + kollegiale Unterstützung leisten).
  2. kollegiale Geschlossenheit demonstrieren.
  3. professionelle päd. Handlungsfähigkeit erweitern und behalten.
  4. SuS sonderpäd. fundiertes professionelles Handeln auch in emotionalen Krisensituationen anbieten.
  5. Vorrangigkeit von Unterrichtsversorgung der gesamten Lerngruppe sicherstellen, indem SuS in der Schulstation nach krisenhaften Situationen einen Ort der Sicherheit und Ruhe vorfinden.
  6. SuS-SuS-Mediation bzw. Streitschlichtung (als pädagogisch fundierten und standardisierten Umgang mit dauerhaften/außergewöhnlichen Peer-Konflikten) anbieten und nachhaltig Ressourcen zum Umgang mit und der Prävention von Peer-Konflikten anbahnen, aufbauen und ausbauen.
  7. Individuelle pädagogische Maßnahmen, Einzeltrainings und Kleingruppentrainings können in der Schulstation realisiert werden.

Die Kapazität einer Schulstation richtet sich natürlich stark nach der individuellen und situativen Einschätzung der jeweiligen Mitarbeiter*innen und des Systems. Im Optimalfall sollte die Schulstation die gesamte Unterrichtszeit abdecken, aufgrund personeller Gründe kann dies wahrscheinlich häufig nicht garantiert werden, so dass es sinnvoll erscheint, einen Kernöffnungszeitenkorridor zu etablieren und zusätzliche Öffnungszeiten angestrebt und angeboten werden.

Wie kann eine Schulstation beispielhaft gestaltet sein und was erwartet SuS dort?

Quelle: Abbildung 8: "Funktionsbereiche einer Schulstation", eigene Darstellung Alexander Lang

 

Literatur

Nevermann, Christiane: Schulstationen – Emotionale Stützung und soziale Integration im Lernfeld Schule. In: Preuss-Lausitz, Ulf, Schwierige Kinder – Schwierige Schule. Konzepte und Praxisprojekte zur integrativen Förderung verhaltensauffälliger Schülerinnen und Schüler. Beltz 2004

Nevermann, Christiane: Schulstationen. Unterstützende Pädagogik im sozialen Lernfeld. Berlin 1997

Opp: Schulen für Erziehungshilfe - Chancen und Grenzen. In: Reiser, Helmut, Willmann, Marc und Dlugosch, Claudia: Professionelle Kooperation bei Gefühls- und Verhaltensstörungen. Pädagogische Hilfen an den Grenzen der Erziehung, Dr. Kovac 2008, S. 67-88

Hinweis zur Nutzung des Artikels

Dieser Text ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen. Bei Nutzung, auch von Auszügen, ist eine Autorennennung mit Quellenangabe nötig. www.dasistes.info, Alexander Lang 2019

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