Sonderpädagogische Förderung als Hilfeangebot

von Alexander Lang

Es erscheint angezeigt, sich Klarheit auf der Ebene der Realisierungswahrscheinlichkeit von Zielen sonderpädagogischer Förderung im Kontext Unterricht zu verschaffen, denn diese sind durchaus sehr heterogen: Hierzu zählen vor allem die Bereitschaft (siehe auch "Bereit für Veränderung?") oder momentane Fähigkeit für Veränderungen auf Seiten der Schülerschaft. Die Arbeit im sonderpädagogischen Förderschwerpunkt ES kann phasenweise davon geprägt sein, dass positive Veränderungen oder systematischer Kompetenzaufbau und Lernzuwachs keine realistischen kurzfristigen Ziele darstellen.

Angelehnt an Ludwigs Grundarten des Helfens können im sonderpädagogischen Bereich Emotionale und soziale Entwicklung Momente aller vier Hilfedimensionen im Arbeitsalltag mit der besonderen Schülerschaft beschrieben werden:

Grundarten des Helfens nach Ludwig

Erziehung

Beratung

Begleitung

(„aushalten“)

Therapie

Abbildung 1: Grundarten des Helfens nach Ludwig 1991, S. 64

Therapie in Unterricht kann keine Intention von sonderpädagogischen Lehrkräften sein. Allerdings finden sich in förderschwerpunktspezifischer Literatur immer wieder Anklänge von z. B. sonderpädagogischer Beratung als „Zone zwischen Unterricht und Therapie“ (Kleber nach Willmann 2008, S. 60) oder die Begrifflichkeit eines „therapeutischen Milleus“ (Stein & Stein 2014, S. 88), welches bereits seit der Nachkriegszeit durch Bettelheim als die Schaffung einer besonderen Lernatmosphäre beschrieben wird. Schüler*innen soll ein intensives und unterstützendes Gefühl des Angenommenseins und Wohlfühlens im schulischen Kontext ermöglichen. Gemeint ist auch eine bewusste Schonraum-Orientierung, die vorübergehendes Aussteigen aus schulischen Drucksituationen realisieren soll (vgl. ebd., S. 87ff.).

Die Dimensionen Erziehung und Beratung sollen hier nicht weiter ausgeführt werden: Deren Wirkmechanismen erklären sich in der Institution Schule aus sich selbst heraus. Spannend ist insbesondere die Dimension Begleitung, welche ich bewusst durch „aushalten“ präzisiere. Reiser (2006, S. 133ff:) beschreibt wunderbar, wie sehr Schüler*innen unseres Förderschwerpunktes uns Lehrkräfte auf dem Weg zum Vertrauen können „prüfen“ und austesten. Diese Phase, bzw. Dimension kennt jede Praktikerin und jeder Praktiker unseres Förderschwerpunktes und weiß, dass in diesen Zeiten im Kontext Schule häufig wenig positive Entwicklungen stattfinden. Hier bekommt die Arbeit in ES eine deutlich spürbare Qualität von „aushalten können“.

Es sei also die These gewagt, dass sonderpädagogischer Unterricht im Bereich Emotionale und soziale Entwicklung auch Phasen von Stagnation oder regressiven Entwicklungsverläufen in Unterricht beachten muss. Schüler*innen in diesen vulnerablen Lebensmomenten unterrichtlich mit der Intention Kompetenzaufbau, Lernzuwachs auf fachlicher Ebene zu begegnen, erscheint nicht zielführend und das zu sein, was diese jungen Menschen bräuchten. Diese stark von Exklusion aus dem Schulbesuch bedrohten Schüler*innen müssen aber eine angemessene und professionelle Berücksichtigung in unserer ES-Arbeit finden! Keine Schüler*innengruppe soll „wegorganisiert“ werden müssen oder im Extremfall in einer Dropout-Situation münden, weil es noch keine tragfähigen und bewährten Antworten und Angebote für die Beschulung dieser Schüler*innen gibt. Genauso bleibt unsere Disziplin für diese Zielgruppe als einzige schulische Institution zuständig und muss adäquate Antworten für schulische Bildungsangebote finden. Einige Schulen machten sich bereits auf den Weg, dieser Zielgruppe professionell zu begegnen.

 

Literatur

Ludwig, K.: Grundarten des Helfens. Ein Schema zur Orientierung der Helfer und der Helfer der Helfer. In: Brandau, H. (Hrsg.), Supervision aus systemischer Sicht, Otto Mueller Verlag 1991, S. 54-68

Reiser, H. (2006): Psychoanalytisch-systemische Pädagogik: Erziehung auf der Grundlage der Themenzentrierten Interaktion. Stuttgart.

Stein, R., Stein, A. (2014): Unterricht bei Verhaltensstörungen, Stuttgart.

Willmann, M. (2018): Erziehungsschwierigkeiten im Fokus der Disziplin: der Fachdiskurs an den Universitätslehrstühlen bis in die Gegenwart. In: Erziehung als Herausforderung, Grundlagen für die Pädagogik bei Verhaltensstörungen. S. 192-208. Bad Heilbrunn.

 

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