Gibt es eine „direkte“ und „indirekte“ sonderpädagogische Förderung?

von Alexander Lang

Wie unterscheide ich „indirektes Fördern” von dem gegebenen Beispiel des Bereichs kooperative Kompetenzen?

Meiner Erfahrung nach sind im ES-Bereich regelmäßig Förderziele zum Beispiel aus den Bereichen Empathie­fähigkeit, Selbst­konzept, Selbst­wirksamkeits­erwartungen, Frustrations­toleranz oder Motivation vorzufinden. Hier gestaltet sich die grade ausgeführte, kompetenz­orientierte Beschreibung von Zielen aber auch eine Darstellung im Sinne von „basal” bis „alters­angemessen normal” deutlich schwieriger.

Zudem zeigt sich in diesen Bereichen deutlich ein weiteres Problem: Wie ließe sich eine positivere Selbst­wirksamkeitserwartung oder eine Veränderung im Selbstkonzept im Kontext Unterricht von Lehrkräften beobachten? Wie führte ein Weg über „direkte Förderung” dieser Bereiche zu Verbesserungen?

Ich empfehle in diesen Fällen von „indirekter sonder­pädagogischer Förderung” zu sprechen und somit auch und vor allem ein unterrichtliches Milieu ein schulisches Milieu zu kreieren, welches individuelle positive Entwicklungen ermöglicht. Auf diesem Wege können Lehrkräfte sonder­pädagogische Förderung indirekt wirksam werden lassen und für ein entwicklungs­freundliches Lernklima sorgen.

Das Beispiel Empathie als Bereich „indirekter Förderung”

Für sonder­pädagogische Förderung im Bereich der Empathiefähigkeit bedeutet dies zum Beispiel, sich als Lehrkraft klar darüber zu werden, dass in der Normalentwicklung von Empathie im Kindesalter das Verhalten von Erwachsenen/Vorbildern eine sehr bedeutsame Wirkung hat. Dementsprechend bedeutsam ist dann ein (idealtypisches) Verhalten der fördernden Lehrkräfte (nachzulesen in der Dissertation Gassners, S. 307 ff). Eine gründliche didaktische Durchdringung des Phänomens Empathie beschriebe die emotionale Entwicklung und deren Bedeutung für Empathie (Erkennen der eigenen Emotionen, social referencing), was das Verstehen der Gefühle und Gedanken anderer mit Empathiefähigkeit zu tun hat (Mentalisieren, Theory of mind) und ob die Fähigkeit zur Rollenübernahme bereits Empathiefähigkeit darstellt oder nicht. Empathiefähigkeit ist somit in einer eher emotionalen und einer eher kognitiven Komponente zu verstehen. Bereits 1992 haben Friedlmeier und Trommsdorf einen sehr lesenswerten Artikel verfasst.

Um Hinweise für den Ist-Zustand vor Beginn sonderpädagogischer Förderung zu erlangen, bietet sich für den Bereich Empathiefähigkeit beispielsweise der FEPAA an, dieser bietet zudem in der Beschreibung der Testkonstruktion eine tolle Darstellung der theoretischen Konstruktion der Bereiche Empathie, Prosozialität, Aggressionsbereitschaft und Aggressiven Verhaltens.

Ist Empathiefähigkeit Zielbereich sonder­pädagogischer Förderung, sollte zudem klar sein, welche Bereiche (siehe oben: eher emotionaler Bereich, also das Mitfühlen­können oder aber eher der mentale Bereich, also die Perspektiv­übernahme und das Sich-in-andere-hineinversetzen-Können) genau fokussiert werden.

Aufgabe von uns Lehrkräften ist es dann, eine Lernwelt zu gestalten, in denen Schüler*innen nun (Nach-)Entwicklungen im Wissen über die "Normal­entwicklungen in den anvisierten Zielbereichen machen können. Ob und in welchem Maße dies im Kontext Schule und Unterrichtsstunde geschehen wird, ist nicht so klar zu beurteilen, wie im Beispiel kooperative Kompetenzen dargestellt, daher spreche ich dann von "indirekter Förderung". Optimalerweise wird dann das Förderziel Empathiefähigkeit nicht im Mathematikunterricht beim Zehnerübergang formuliert, sondern viel zielführender (und theoretisch angezeigter) zum Beispiel im Deutschunterricht beim Verfassen eines Tagebucheintrages aus der Perspektive der Protagonistin (eher mentale Komponente, je nach Kontext/Werk) oder im Geschichtsunterricht beim Thema Feudalgesellschaft, wenn Raubritter Bauernfamilien ungestraft wertvolles Vieh nehmen und dabei noch den Sohn schwer verletzen: Wie vermag es sich anfühlen, rechtlos und in dem Moment quasi schutzlos zu sein, zu leben? (eher emotionale Komponente, Mitfühlen aber auch emotionales Sichhineinversetzen­können). Wird nun noch die individuelle Aneignungshöhe der Schüler*innen beachtet (können SuS diese kognitiven Leistungen aus sich selbst heraus bereits mentalisieren oder brauchen sie etwas Gegenständlichere Zugangsweisen, wie zum Beispiel ein Rollenspiel?), schlägt Fachleiters Herz höher.

Wichtig erscheint mir noch, anzumerken, dass insbesondere der Bereich Empathiefähigkeit eine weitere diskussionswürdige Komponente beinhaltet: Nämlich die Tatsache, welche qualitative Dimension von Empathiefähigkeit ein angemessenes Ziel darstellt. Denn auch bei Kindern und Jugendlichen ohne sonderpädagogischen Förderbedarf und im Erwachsenenleben begegnet uns durchaus einer große Bandbreite von "ist wenig empathisch bis ist überaus empathisch"; eine kritische Diskussion, bzw. ein kritisches Reflektieren des Zielbereichs erscheint mit hier stets angezeigt.

 

Literatur

Qua-LiS NRW (2019): Matrix emotionaler und sozialer Kompetenzen (MesK). Praxisorientierte Arbeitshilfe, Soest.
Verfügbar unter https://www.schulentwicklung.nrw.de/q/upload/Inklusion/mesk/broschuere_mesk.pdf [08/2019]

Wolfgang Friedlmeier, Gisela Trommsdorff: Entwicklung von Empathie. In: Frühförderung. Zwischen passionierter Praxis und hilfloser Theorie.
Gertraud Finger ... (Hrsg.). Freiburg i. Br.: Lambertus, 1992, S. 138-150. Verfügbar unter http://kops.ub.uni-konstanz.de/volltexte/2010/9834/

Gassner, Burghard: Empathie in der Pädagogik Theorien, Implikationen, Bedeutung, Umsetzung. Heidelberg 2006

 

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